14. November 2010

Beschluss zum Jugendmedienschutz-Staatsvertag (JMStV)



AntragstellerIn: GJ Bochum 2 und Wattenscheid

Die Grüne Jugend NRW fordert die Landtagsfraktion dazu auf, gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertag (JMStV) zu stimmen. Die Fraktion wird aufgefordert im Zusammenhang mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag Initiativen zu ergreifen bzw. zu unterstützen, die Jugendschutz und Netzpolitik voranbringen.

Begründung: Protokoll/Notizen:

Der von Dr. Jürgen Rüttgers unterschriebene JMStV ist medien-, jugend- und netzpolitischer Irrsinn und technisch nicht umsetzbar! Regelungen und Gesetze sollen gewährleisten, dass Kinder und Jugendliche keinen Zugriff auf Medien bekommen, die den Zielen des Jugendschutzes entgegenstehen. Das Internet stellt den bestehenden Jugendschutz vor neue Herausforderungen. Es gehorcht anderen Regeln als die der bestehenden Medienwelt, sprengt Grenzen und erlaubt mehr Freiheit als je zuvor. Der hohe Grad an Freiheit bedeutet auch eine erleichterte Erreichbarkeit von jugendgefährdenden Inhalten. Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags soll dieses Problem lösen. Doch der Vertragsentwurf enthält erhebliche technische Mängel die der Komplexität des Web 2.0 nicht standhalten:

Kommerzialisierung und Jugendgefährdung

Die AnbieterInnen von Inhalten im Internet sollen auf „freiwilliger“ Basis ihre Angebote kennzeichnen, ob diese für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Die AnbieterInnen von Internetdiensten (Provider) sollen Programme anbieten, die Websites mit einer Angabe unter dem gewünschten Mindestalter blockieren. Werden Inhalte falsch gekennzeichnet, sind hohe Ordnungsstrafen möglich. Diese Strafen betreffen alle AnbieterInnen von Inhalten einschließlich privater Blogger. Wird die Tagesschau zukünftig ab 12 oder mal ab 16 Jahren freigegeben sein? Die Seite der GJ NRW ab 6 Jahren? Wir wissen es nicht!
Die rechtlich einwandfreie Einstufung der Inhalte ist für private Nutzer jedoch schwierig bis unmöglich. Den Erwerb der notwendigen Fachkompetenz werden sich nur kommerzielle, öffentliche und/oder institutionelle AnbieterInnen leisten können. Eine eigene Kennzeichnung für kleinere und mittlere AnbieterInnen scheitert an dem hohen Rechtsrisiko. Um einer Strafe zu entgehen sind Sie gut beraten, ihre Seiten vorsichtshalber in die höchste Altersstufe einzuordnen.
In der Folge würde unser zukünftiger Nachwuchs ein „Kindernet“ bekommen, wo er vor allem die Websites von Coca Cola, MTV und McDonalds genießen dürfte. Wikipedia oder zum Beispiel auch die Website der Grünen Jugend NRW wären schließlich gesperrt. Unsere Kinder würden zu perfekten KonsumentInnen ausgebildet werden, kritische Inhalte wären nicht mehr abrufbar. Derartige Sperren würden bürgerliche Rechte, wie sie im Art. 5 Abs. 1 GG garantiert sind, massiv verletzen.
Der Staatsvertrag scheitert auch in anderer Hinsicht an der Realität. So könnte eine AnbieterIn in den USA seine Seiten immer mit einer niedrigen Altersstufe kennzeichnen. Nach US-Gesetz wäre dies legal. AnbieterInnen mit jugendgefährdenden Inhalten könnten ganz bewusst diese Möglichkeit nutzen, um deutsche Kinder und Jugendliche als Zielgruppe zu erreichen.
Bereits heute sind deutsche Websites mit Inhalten nur für Erwachsene verpflichtet, eine Altersverifikation wie zum Beispiel den Personalausweis zu fordern. Nach der Novellierung des JMStV reicht aber die Alterseinstufung der Inhalte als Jugendschutzmaßnahme aus. Da vielen Eltern die Fachkenntnis fehlen wird, um die Software zu installieren oder zu konfigurieren, werden Minderjährige bei falscher oder Nichtanwendung von Jugendschutzprogrammen sogar leichter als je zuvor an Inhalte ab 18 kommen.
Des Weiteren werden im JMStV Fachbegriffe willkürlich verwendet. (Zum Teil mit juristisch wie technisch unklarer Bedeutung), aktuelle Forschung zur Medienpolitik wird missachtet und dynamische Live-Medien wie Twitter oder Facebook werden völlig außer Acht gelassen. Die vorgestellten Regelungen beweisen vielfach, dass die ErstellerInnen des Gesetzentwurfes die neuen Medien nicht verstanden haben. Die geschilderten Folgen des JMStV sind nicht im Sinne von Bündnis 90/Die Grünen und erst recht nicht im Sinne der Grünen Jugend NRW. Die Grünen standen und stehen für eine konstruktive Politik, die BürgerInnenrechte und Jugendliche ernst nimmt – ohne Populismus und Aktionismus. Der vorliegende JMStV verfehlt nicht nur das gesetzte Ziel „Jugendschutz“, er schadet diesem sogar.

Die politische Lage – alles hängt von NRW ab

Obwohl sich zunächst sowohl Grüne als auch Teile von SPD (u.a. die NRW-SPD) und FDP inhaltlich gegen die Revision des Vertrages gestellt hatten, sind in allen Bundesländern, trotz Zweifel, bereits Mehrheiten für die Ratifizierung des Vertrages sichergestellt worden. Hier in NRW hat der ehemalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nach der verlorenen Wahl als eine seiner letzten Amtshandlungen den Vertrag unterschrieben. Die Ratifizierung steht jedoch noch aus.
Zunächst sah es so aus, als würde das neue Parlament dem Vertrag ebenfalls kritiklos zustimmen. Nachdem aber zunehmend klar wurde, was der Vertrag für negative Folgen haben wird und nach erheblichem Protest von NetzaktivistInnen und -politikerinnen wurde auf Initiative der Grünen hin eine erneute Anhörung im Landtag angesetzt. Der JMStV muss bis zum Ende dieses Jahres novelliert werden. Lehnt NRW diesen Vertrag ab, muss er neu verhandelt werden! Wir wollen die Neuverhandlung des JMStV und fordern die Teilhabe von Fachkräften die etwas von der Materie verstehen, um einer solchen Situation, wie wir sie jetzt haben, aus dem Weg zu gehen.

Beschlussfassung der Landesmitgliederversammlung am 14.11.2010 in Velbert



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