30. Juni 2013

Queer dir deine Welt, Alte*r!



Wo man auch hinsieht: Die Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität in der Gesellschaft sind allgegenwärtig und damit leider auch die Diskriminierung derjenigen, die aus diesem Denkraster herausfallen. CSU-Politiker*innen wie Norbert Geis argumentieren mit der Existenz von Mann und Frau gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Auf offiziellen Dokumenten gibt es nur die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ und Fernsehserien wie „Germany’s next Topmodel“ zeigen, wie letzteres Geschlecht auszusehen hat. Transsexuelle Menschen haben nach den offiziellen Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO eine psychische Störung und müssen in therapeutischer Behandlung sein, bevor die Krankenkasse die Kosten für eine Geschlechtsangleichung übernehmen. „Du schwule Sau“ ist nach wie vor einer der gebräuchlichsten Schimpfworten auf deutschen Schulhöfen.
Für die GRÜNE JUGEND NRW ist klar: So stellen wir uns die Welt nicht vor!

GJ goes queer

Männlich, heterosexuell, monogam lebend, weiß und privilegiert – das ist das gesellschaftliche Standardmodell. Wir wollen aber zu einem Zusammenleben, das Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern fördert. Bestimmte sexuelle Identitäten und Orientierungen, Herkunft, Einkommen, Lebensweisen, Religionen und Weltansichten dürfen nicht weiter Grund für Diskriminierung und Andersbehandlung sein – sie müssen selbstverständlich werden.
Das Ziel der GRÜNEN JUGEND NRW ist eine queere Gesellschaft.

Familie goes queer

Für uns steht fest: Der Staat sollte keine Form des Zusammenlebens bevorzugen, sondern lediglich gesellschaftlichen Realitäten Rechnung tragen. Deswegen darf es kein längeres Festhalten an der klassischen „Hetero-Ehe“ geben. Kurzfristig fordern wir die Entscheidungsträger*innen auf Bundesebene auf, die deutlichen Zeichen aus Karlsruhe wahrzunehmen und endlich die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen!
Wir dürfen an diesem Punkt aber nicht stehen bleiben. Die Institution Ehe als „Keimzelle der Familie“ hält schon seit Jahren nicht mehr einer genaueren Überprüfung stand: Kinder werden immer öfter in Lebensformen außerhalb der Ehe geboren bzw. wachsen nicht mit verheirateten Eltern auf; was fehlt ist eine rechtliche Absicherung dieser Familien. Auf der anderen Seite steht eine historische Ungleichbehandlung der Frau innerhalb dieser Institution.
Wir fordern darum nochmals mit Nachdruck die Einführung eines Familienvertrags (Verweis auf Antrag 11/2010), in dem Verpflichtungen, Privilegien und Sorgerechtsfragen geklärt werden können. Da die Ehe ein unantastbares Menschenrecht ist, fordern wir die Öffnung dieser auf alle maximal zulässigen Formen des menschlichen Zusammenlebens.

Bildung goes queer

Kindergarten und Schule sind Orte, an denen Kinder und Jugendliche sich Wissen aneignen. Vor allem aber sind es Orte des sozialen Miteinanders, Möglichkeiten sich auszutauschen und voneinander zu lernen.
Dazu gehören auch Vorstellungen von sozialen Geschlechterrollen und Orientierung an Gleichartigen und Erzieher*innen. An diesen Orten lernen Kinder und Jugendliche was von ihnen in ihrer jeweiligen Geschlechterrolle verlangt wird und was gesellschaftlich verpönt ist.
Für uns ist klar: Hier muss Aufklärung ansetzen!
Bücher und andere Materialien sind aus dem Alltag in Kindergarten und Schule nicht wegzudenken. Egal ob Bilder- oder Mathematikbuch: Es macht einen Unterschied, ob die Familie immer nur im Vater-Mutter-Kind-Schema dargestellt wird oder dort gesellschaftliche Realitäten abgebildet werden! Darum fordert die Grüne Jugend NRW, dass die Gutachter*innen der Kultusministerien, die die jetzigen Schulmaterialien überprüfen, diese auf die Diversität der Familien- und Liebeskonstellationen untersuchen und für Neuauflagen beachten.
Lehrer*innen kann es mitunter Schwierigkeiten bereiten, Lebensformen fernab der Heteronormativität ihren Schüler*innen nahezubringen, wenn jene ihnen nicht selbst bekannt sind. Aus diesem Grund muss das Fortbildungsangebot für Lehrer*innen ausgeweitet werden, um auch die Themenspektren Queer und Gender abzudecken. Zusätzlich müssen die Pflichtfortbildungsstunden erhöht werden, um zu gewährleisten, dass die Schule den Lehrer*innen den Besuch der Fortbildung nicht verwehrt.
Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative der Landesregierung zur Erstellung des “Aktionsplanes gegen Homophobie”, an dem auch NGOs und Beratungsstellen beteiligt waren. Darüber hinaus zeigen wir uns erfreut über die Bereitstellung weiterer Gelder, um beispielsweise SchLAu – schwul lesbische Schulaufklärung – gebührend finanziell zu unterstützen. Diese Initiativen müssen auch in Zeiten knapper Kassen langfristige Förderung erhalten, um konstant arbeiten zu können.

Medizin goes queer

Transsexualität gehört nach wie vor zu den größten Baustellen der Politik. Wer heute beschließt, sein Körper durch Hormontherapie und Operationen seiner Identität anzupassen, muss einen langwierigen, anstrengenden und letztendlich diskriminierenden Prozess durchlaufen; neben einer Diagnose der Transsexualität durch eine*n Psychater*in stehen diverse Behördenläufe sowie der Antrag auf Vornamensänderung und später auf Personalstandsänderung bei Gericht an. Der ganze Prozess, der in den meisten Fällen mit Hormoneinnahme und einer operativen Geschlechtsangleichung einhergeht, erstreckt sich über einen langen Zeitraum und ist für die Betroffenen extrem belastend.
Die GRÜNE JUGEND NRW schließt sich den Forderungen nach einer Novelle des Transsexuellengesetzes an. Es ist menschenverachtend, jemanden den Weg aufgrund seines Wunsches nach einer körperlichen Anpassung dermaßen schwer zu machen! Wir fordern deswegen die Abschaffung der verpflichtenden psychologischen Begutachtung, denn niemand kann Transsexualität besser einschätzen als die betroffene Person. Zudem muss das jetztige Sonderrecht Transsexuellengesetz (TSG) in bestehendes Recht integriert werden. Dass es eines Antrages bei Gericht bedarf, um Vornamen und Personalstand ändern zu können, ist menschenunwürdig – dies muss bei den zuständigen Behördern möglich sein. Und zuletzt bedarf es einer gesetzlichen Regelung, die Krankenkassen zur Finanzierung der medizinischen Schritte wie Hormontherapie und Operationen verpflichtet – ein nötiger Schritt, der viel zu lange nicht gegangen wurde!
Die in letzter Zeit in den Medien präsenter gewordenen „Therapien“ gegen Homosexualität verurteilen wir aufs Schärfste. Meist sind die ideologisch begründet, versprechen Heilung von der nicht der Norm entsprechenden Orientierung.
Seit 1992 steht Homosexualität zurecht nicht mehr auf der Liste der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation WHO. Wer Heilung verspricht, redet der Patient*in ein, nicht „normal“ zu sein und anstatt vermeintliche Probleme zu lösen, werden sie dadurch erst geschaffen! Deswegen fordert die GRÜNE JUGEND NRW ein Verbot dieser Therapieangebote. Um aber den weiterhin großen Bedarf an Beratung nicht-heterosexueller Menschen, inbesondere Jugendlicher, abzudecken, müssen die Gelder für Beratungsstellen auf hohem Niveau bleiben. Der Staat hat außerdem die Verpflichtung, besonders die Infrastruktur dieser Beratungsstellen im ländlichen Raum, weiter zu fördern.


Unsere queeren Kernforderungen für ein vielfältiges Miteinander sind:

  • Öffnug der Ehe auf alle maximal zulässigen Formen des menschlichen Zusammenlebens
  • finanzielle Unterstützung und Fortbildungen im gesamten Bildungssystem, um Aufklärung über Queer zu ermöglichen
  • Novelle des Transsexuellengesetzes (TSG)
  • Glossar

    Zweigeschlechtlichkeit: Annahme, dass die Menschheit in die Kategorien „Frau“ und „Mann“ unterteilt werden kann
    Heteronormativität: Annahme, dass Zweigeschlechtlichkeit das Miteinander von Mann und Frau bestimmt, die in heterosexuellen Partnerschaften leben. Biologisches Geschlecht, soziales Geschlecht und sexuelle Orientierung sind aufeinander immer gleich abgestimmt.
    Novelle: Mit Novelle wird in der Gesetzgebungslehre ein Änderungsgesetz bezeichnet, das ein oder auch mehrere andere, bereits bestehende Gesetze in einzelnen Teilen abändert. Der Vorgang bzw. die Schritte zu seiner Vorbereitung werden Novellierung genannt.

    Beschlussfassung der Landesmitgliederversammlung am 29./30. Juni 2013 in Bielefeld.



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